Zigarettenrauch
Essay von W. Dieminger vom 16.12.1931

„Es ist merkwürdig, was man in ein paar ruhigen Minuten alles sieht, Belanglosigkeiten oft, gewiß; aber kann nicht auch eine Belanglosigkeit erfreuen, und noch mehr, zum Nachdenken anregen? Ich glaube eine Ahnung davon zu haben, was Buddha meint mit seinem Sichversenken, für das natürlich unser hastendes, vorwärtspeitschendes Leben keine Zeit mehr hat – vorwärts, schneller, nicht dösen, Zeit ist Geld – das Leben betrügt sich selbst um seinen Inhalt. Wie ich darauf komme?  Durch eine Zigarette, nein weniger als eine Zigarette, durch den Rauch einer Zigarette – eine Belanglosigkeit, die man meist wegwischt mit einer nervösen Handbewegung, weil er uns in den Augen beißt oder die Aussicht verdirbt. Ich versuchte Rauchringe zu blasen und sah dem Rauch zu, wie er in der ruhigen Luft sein Spiel trieb. Und über dem Zuschauen vergaß ich die Rauchringe; denn was ich sah, das war mir so neu, das war so eigenartig schön, daß ich nur noch schauen wollte. Wie viele Zigaretten habe ich schon geraucht? Ich habe mich auch schon gefreut darüber, wie sich der Rauch emporringelte in der Sonne, wie er sich als feiner Faden emporschwang, sich auflöste und in Nichts zerging, aber so wie jetzt habe ich noch nie sein Spiel beobachtet. Eine wirre Wolke liegt vor mir, doch schau, ein Teil wird nach unten gezogen, teilt sich nach allen Seiten, wölbt sich empor – eine edelgeformte Schale, nur ein Augenblick, dann teilt ein Lufthauch das Gebilde, eine schmale Zunge zieht von mir weg, gleitet abwärts, ringelt sich ein und gleitet schließlich sich immer mehr verästelnd an mir vorbei. Inzwischen hat sich ein Vorhang aus bläulichem Dunst gebildet wie Quasten hängen einige Fahnen nach unten. Dabei ist kein Augenblick Ruhe, erst schnell, dann immer gemächlicher fließen die Schleier dahin, bis sie ein Luftzug zu neuem Tanze faßt. Nun weiß ich auch, wo ich diese Formen, nein einen arg unvollkommenen Abklatsch dieser Formen schon einmal gesehen habe: die seltsam fließenden Ornamente des Jugendstils, die Ranken und Schlingen finde ich hier wieder, freilich in reiner Form, ohne Blumen und Köpfe, die abenteuerlich und unwahrscheinlich aus den Windungen hervorwachsen. Vielleicht, wahrscheinlich sogar, war der Rauch in seinem Spiel Vorbild für diese Formen, ohne die Mätzchen freilich, die eine nach außen reiche, innen aber hohle Zeit angeklebt hat. – Die Zigarette ist erloschen, aber noch ist das Schauspiel nicht zu Ende. Die Wirbel haben sich entwirrt, ein breites Band zieht sich quer durch das Zimmer, noch immer in langsamer Bewegung, bald flach ausgestreckt, dann wieder deutliche Kuppen bildend, zeigt es deutlich, wo vom Fenster her ein kalter Luftstrom durch das Zimmer streicht. Immer dünner werden die Schwaden, immer verschwommener die Einzelheiten – eine Belanglosigkeit und doch ein Erlebnis“.