Der Nichtwissenschaftler Walter Dieminger

Mir selbst war seine Fähigkeit bemerkenswert, ein Institut nicht nur aufzubauen, sondern es über viele Jahre in einer guten Atmosphäre so erfolgreich zu führen und zu erweitern, mit heute kaum noch zu findendem diplomatischem Gespür und Geschick für das menschlich und wissenschaftspolitisch Machbare, das in 21 Fachgremien und bei der Max-Planck-Gesellschaft in München sehr geschätzt wurde – dort war er z.B. lange Jahre als Schlichter tätig - oft im ursprünglichen Sinn einer „grauen Eminenz“. Er wußte wohl intuitiv um die Bedeutung des schöpferischen Chaos, d.h. davon wie man die wissenschaftliche Leistung und das Engagement von stark individualistisch geprägten Wissenschaftlern synergistisch für das Institut - im Sinne eines großen kreativen Teams - nutzen konnte, ohne sie zu starr in vorgegebene Strukturen einzubinden und bürokratisch zu belasten. Wenn die Einladenden zu diesem Vortrag in Kleinheubach nur eine Würdigung seiner herausragenden, unvergeßlichen wissenschaftlichen Leistungen gewollt hätten, dann hätten sie wohl Berufenere als mich dafür gesucht und gefunden. So kann und will ich mich nun dem Nichtwissenschaftler Walter Dieminger zuwenden, den ich – wie wenig andere - in vielen Gesprächen und auf Reisen kennenlernen durfte und dessen humanistische Bildung für mich immer eine Bereicherung war. Er ist mit unglaublich wacher Aufmerksamkeit, schauend mit großem kulturellem Interesse durch das Leben gegangen. Wir haben immer öfters über die unerwünschten und noch unabsehbaren Folgen der beschleunigten Umweltveränderungen diskutiert, insbesondere im Hinblick auf die zu erwartenden Probleme bei der internationalen Teamarbeit – besonders im Bereich der (high tech) Weltraumforschung. Der „Altphilologe“ im Physiker Walter Dieminger liebte nicht nur die deutsche Sprache, sondern bemühte sich auch immer sie zu pflegen. So war er sehr erstaunt, daß J. W. von Goethe schon 1825 für die Gefahren der beschleunigten Umweltveränderungen den Begriff „velociferisch“ geprägt hatte – aus den Begriffen Velocitas (Geschwindigkeit) und Lucifer (Teufel). Wir haben die Liebe zur klassischen Musik geteilt und uns dabei öfters über seine große Schallplattensammlung unterhalten. Er hatte von seiner Mutter, die eine gute Klavierspielerin war, auch Klavierspielen gelernt und hatte deshalb wohl auch eine besondere Vorliebe für Klavierkonzerte, aber auch Violinkonzerte, besonders die von Mozart.

Ich habe in unseren Dialogen über die Komplementarität von Christentum und Buddhismus seine meist unbemerkt gebliebene tiefe Religiosität kennen und achten gelernt. Der Begriff Komplementarität soll so verstanden werden wie ihn Niels Bohr seit 1928 benutzte. Meine kurzen Gesprächsnotizen zu all diesen Themen haben eine ganz wesentliche Rolle bei der Abfassung meines letzten MPAe Reports gespielt (Hartmann, 2001).

Jedes Menschenleben ist fragmentarisch, weist Brüche auf. Allen, die ihn kannten gilt das Wort aus der Bibel „Prüfet alles, das Gute behaltet“ (1Thess. 5,21). Dieses Wort gilt auch für die Erinnerungen an den Verstorbenen. Viel Reichtum wird bleiben und die Dankbarkeit vieler, nicht nur die seiner Familie, der Angehörigen, Verwandten und Freunde, sondern auch die vieler Mitarbeiter des MPAe aber ganz besonders auch der Kleinheubacher Tagungsgemeinschaft, deren Geist er – zusammen mit seiner Frau Dr. Ilse Dieminger, die ihn auch auf viele andere wissenschaftliche Tagungen begleitet hat - über so viele Jahre entscheidend mitgeprägt hat. Frau Dieminger verfolgt noch sehr aufmerksam das jetztige „neue“ MPAe-Institutsleben. Sie hat mit einigen alten Bildern sogar zu der kleinen Posterausstellung beigetragen, die sie hier besichtigen können. Auf diesem Weg läßt sie alle Kleinheubacher“ herzlich grüßen, die sie und ihren Mann gekannt haben, besonders aber die noch aktiven „Alten“, die sich ihnen freundschaftlich verbunden fühlen bzw. mit denen eine entsprechende Zusammenarbeit stattfand. Frau Dieminger fühlt sich aber physisch nicht stark genug, selbst noch einmal an der Tagung teilzunehmen. Lassen Sie mich nun mit einem kurzen Essay schließen, den Walter Dieminger am 16.12.1931 als Student – 24 jährig - in München geschrieben hat und den ich beim Aufräumen zwischen seinen Papieren gefunden habe, einige Zeit vor seinem Tod.